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,,Zeit für Honig”

  • meine Kindheit
  • Professionalisierung
  • Handlungsbedarf
  • meine Antwort
  • neue Pläne

 

„Zweierlei hatten wir, das unsere Kindheit zu dem gemacht hat, was sie gewesen ist, Geborgenheit und Freiheit.“ Astrid Lindgren

Das Kind in mir fand eine Heimat, ein Zuhause inmitten einer fröhlichen Großfamilie, die aus meinen drei jüngeren Geschwistern, meinen Eltern und meinen Großeltern bestand.  Alle zusammen belebten wir ein Haus mit offenen Türen und Fenstern, umgeben von Wiesen, Wald und Feldern, mitten auf dem Land. Die Natur war mein Kinderzimmer und unser großer Garten mein ganz eigenes Spielreich, welches ich mir ungestört und unbeobachtet eroberte. Ich hinterliess meine Spuren und die Menschen meiner Familienbande, umgaben und begleiteten mich dabei.

Viel Zeit für Honig

nahmen sich besonders unsere Großeltern, die nicht müde wurden, unseren Hunger nach Honig zu stillen. Und während sie in Haus und Garten stets mit etwas beschäftigt waren, nahmen sie sich doch immer die Zeit, alles beiseite zu legen, um sich unsere eingeübten Kunststücke anzusehen, unseren aufgeregten Spielideen zu lauschen und deren Umsetzung zu unterstützen. Sie hatten immer alles, was wir dafür brauchten und wenn nicht ließen sich sich etwas einfallen. Aber fast noch schöner war es, dass wir uns immer auch an ihrem Tun beteiligen und mithelfen durften. Mit Oma gemeinsam kochen, nähen, bügeln und mit Opa in der Werkstatt, nach Lösungen suchen und Dinge reparieren, schien mir das Größte Glück der Welt zu sein. Von ihm bekam ich ein kleines Beet im Garten und lernte es zu bepflanzen und zu umsorgen und so wuchs auch ich in der Freiheit auf, zu wachsen, zu lernen und zu dem zu werden, was sich in mir verbarg.

„und so spielten wir und spielten, sodass es das reine Wunder war, dass wir uns nicht todgespielt haben.“ Astrid Lindgren

Ob als Zirkusfamilie oder Räuberbande, wir zogen in die Welt hinaus. Wir fanden die besten Verstecke, bauten Baumhäuser und Staudämme am Bach. Kochten Blumensuppen und verbrachten Stunden damit, im warmen Sonnenschein auf der Wiese zu liegen und zu träumen. Rennen, fangen, hinfallen und wieder aufstehen. Aufgeschlagene Knie und blaue Flecken hatte jeder von uns und es lauerten überall Gefahren. Der Wald war voll von giftigen Beeren, Brennnesseln und Fliegenpilz und im Garten saßen die Bienen im Klee, während wir barfuss auf Entdeckungstour gingen. Aber wir hatten keine Zeit uns deshalb zu sorgen, oder zu ängstlich zu sein. Zu viel Neues gab es zu entdecken, mit all den Kindern, die man überall traf. Auf der Straße, am Zaun, zwischen hohen Gräsern und Hecken begegneten wir uns und wenn wir uns zum ersten Mal sahen und erahnten Gleichgesinnte zu treffen, dann schien sich unsere Freude darüber manchmal fast zu überschlagen und unsere Möglichkeiten und Ideen schienen einfach grenzenlos zu sein. Ebenso wie die Freiheit ein Kind sein zu dürfen.

„Gewiss wurden wir in Zucht und Gottesfurcht erzogen, so wie es dazumal Sitte war, aber in unseren Spielen waren wir herrlich frei und nie überwacht.“ Astrid Lindgren

Ja, frei, wild und wunderbar war dieses Leben.  Auch mit seinen Regeln und Grenzen, welche uns in Liebe und Vertrauen, einen schützenden Rahmen gaben und ein Bewusstsein schafften, für den Umgang miteinander und mit allem was uns umgab. Und das war in erster Linie die Sinnhaftigkeit des Lebens, welche so greifbar, so nah und so echt war, wie die Herzenswärme und Geborgenheit, die meine Mama ausstrahlte und die Abenteuerlust und Freude am Leben, die meinen Papa umgab. Ihre gelebten Werte haben meine Überzeugungen und meinen Blick auf die Welt geprägt und mir neben festen Wurzeln, immer die Möglichkeit gegeben, über meinen Horizont hinaus zu wachsen.

„Fragt mich aber jemand nach meinen Kindheitserinnerungen, dann gilt mein erster Gedanke trotz allem nicht den Menschen, sondern der Natur. Sie umschloss all meine Tage und erfüllte sie so intensive, dass man es als Erwachsener gar nicht mehr fassen kann.“

Auch ich bin irgendwann erwachsen geworden, aber dass Kind in mir, trägt seit jeher diesen Schatz in sich, welchen es galt zu teilen. Und so wurde aus mir, eine Erzieherin aus Leidenschaft fürs Leben. Und weil die Erfahrung in meinem eigenen Gemüsebeet mich lehrte, „dass das Gras auch nicht schneller wächst, wenn man daran (er)zieht“ (afrikanisches Sprichwort) bevorzuge ich den vielleicht veralteten, aber für mich zielführenderen Begriff der Kindergärtnerin …

Denn das wollte ich sein. Eine Gärtnerin, die die ihr anvertrauten Pflänzchen hegt und pflegt. Ihnen beim wachsen und gedeihen zusieht und sich an ihrer selbst entfalteten Pracht erfreut.

„Freiheit bedeutet, dass man nicht unbedingt alles so machen muss, wie andere Menschen.“ Astrid Lindgren

Nach meiner Ausbildung und mehreren Berufsjahren in den verschiedenen Bereichen der Kindertagesbetreuung, wurde mir die inzwischen sehr veränderte Lebenswirklichkeit von Kindheit immer deutlicher vor Augen geführt.

Mein natürliches Selbstverständnis von Erziehung, Betreuung und Bildung geriet zwischen all den erzieherischen Allmachtsvisionen und gleichzeitiger Ohnmachtspanik,  zwischen übertriebener Kindorientierung und unreflektierter Kindvergessenheit immer mehr ins Wanken. Und Mir wurde bewusst, dass ich mich selbst auf den Weg machen musste, um meine inneren Überzeugungen, gesammelten Erfahrungen und vielleicht veraltete Glaubensansätze zu reflektieren. Aber hauptsächlich um Neue Entwicklungspsychologische Erkenntnisse und politische Bestrebungen zu hinterfragen und zu erproben. Ich wollte den Veränderungen Raum geben, ohne meinen Anspruch „es besser machen zu wollen, aus den Augen zu verlieren.

Und so habe ich meine Berufung darin gesehen und gefunden einen eigenen Garten anzulegen.

Eingebettet in ein Idyll aus wilden Hecken und Obstbäumen, erweckte ich eine leerstehende Arztvilla, direkt am Englischen Garten zu neuem Leben und eröffnete eine Großtagespflege. Dies war für mich ein erster Schritt in die richtige Richtung und eine Möglichkeit, um einen Unterschied zur Regelkrippe bieten zu können. Denn das Konzept der Kindertagespflege, welche mich auf Grund ihrer Größe und Zusammensetzung an eine Großfamilie aus längst vergangenen Zeiten erinnerte, hat mich mit ihrer Familiennähe und Flexibilität überzeugt.

Woraufhin nun bereits fünf Jahre lang viele kleine Honigbären und ihre Familien ein zweites Zuhause bei uns fanden. Und fröhliches Kinderlachen seit jeher, unsere Räume ohne Wände erfüllt, direkt bis hinaus ins Freie. Denn die Türe zu unseren riesigen, wunderschönen Garten steht immer offen, so dass man einfach losrennen kann, hinein ins Abenteuer Leben. Und das wollen und können bei uns schon die allerkleinsten, auch ohne uns. Denn fest verwurzelt und sicher gebunden, fühlen sie sich gehalten und frei zu gleich. Um die Welt auf ihren eigenen Füßen zu entdecken und sich in ihrer ganzen Lebendigkeit mit allem verbunden zu fühlen, was sie umgibt.

Und das ist bei uns, in erster Linie die Natur

So krabbeln und tapsen, streifen und klettern unsere Krippen Kinder täglich aufs Neue mit offenen und wachen Sinnen, durch unseren großen Garten. Dessen unerschöpflicher und faszinierender Spiel und Bewegungsraum einläd, als Entdecker und Gestalter tätig zu werden.  Die eigenen Hände und den ganzen Körper einsetzen und dieses ihr Leben zu „be“greifen, Erfahrungen zu sammeln und ihre eigenen Spuren zu hinterlassen. Und wenn unsere kleinen Weltentdecker müde und erfüllt zurückkehrten, von ihren Streifzügen durch Hecken und Sträucher, wenn sie zu erzählen haben, zeigen wollen, dann sind da immer unserer offenen und haltenden Arme. Augen die genauso neugierig hinsehen, Ohren die hinhören, auch wenn nicht gesprochen wird und eine gemeinsame Liebe und Begeisterung für dieses Leben und all seine Wunder die wir teilen.

Als KinderGärtner

nutzen wir im Honigland bevorzugt den freien Handlungsspielraum der Natur, um unsere Kinder in ihrer Natürlichkeit zu beobachten und zu erkennen, wo sich jedes einzelne in seiner Entwicklung befindet und was sich in ihm verbirgt. Wir wissen, dass jedes Kind von Natur aus neugierig, wissbegierig, kreativ und lernfähig ist und wie Fröbel es einst sagte, dass bereits das kleinste Samenkorn, das Große Ganze in sich trägt.“ Kinder bringen alles mit, sie lernen spielend bei allem was sie tun. Sie wollen entdecken, beobachten und sich als selbstwirksam erleben. Es liegt an uns, ihnen Vertrauen zu schenken und Raum und Zeit zu geben, damit sie sich von alleine entfalten und zu der „Pflanze“ werden können, die in ihnen angelegt ist . Hierfür bereiteten wir den Boden, schaffen eine gute, sichere Beziehung und begleiten sie, während wir uns selbst, mit eigenen Programmvorstellungen und Angeboten zurücknehmen und zu „Hütern“ des freien Spiels werden.

„Spiel ist nicht Spielerei, es hat hohen Ernst und tiefe Bedeutung“ Friedrich Fröbel

Kinder kommen mit der Gabe des Spielens zur Welt und drücken sich damit aus, lange bevor sie Worte und Verständnis dafür besitzen. Spielen bedeutet für sie Lebensaneignung, denn indem das Kind seine Umgebung im spielen erforscht versteht es diese und sich selbst, beobachtet und verarbeitet Eindrücke und Erfahrungen und lernt daraus, indem es diese vertieft und wiederholt. Wenn wir die Kinder frei spielen lassen bilden sich, eigene Interessen, Sehnsüchte und Ziele des Kindes heraus und formen so seine Individualität. Leider wird oft unterschätzt, wie wichtig das feie Spiel für die persönliche Entwicklung und das Selbstverständnis ist. Dabei bietet gerade das freie Spielen in der Natur eine unendliche Fülle an Lernmöglichkeiten, die den Forscherdrang und die Wissbegierde der Kinder ganz von alleine wecken und dem wahrnehmenden und neugierigen Kind reichhaltige Nahrung bieten, um selbstständig tätig zu werden. 

Veränderte Kindheit

Gerade In einer Zeit, in der immer wieder, in vielen Zusammenhängen, das Größte Gewicht auf der Stärkung und Förderung des Intellekts bereits im frühen Alter gelegt wird und politische Bestrebungen darauf abzielen, dass freie Spiel zugunsten einer immer stärker verschulten Bildung im Kindergarten einzuschränken. Ist es mir ein besonderes Anliegen ein Gegengewicht zu dieser Tendenz zu bilden und dazu beizutragen, den Fokus wieder stärker auf die Bedürfnisse der Kinder zu lenken und ihnen von früh auf, möglichst viel leistungsfreie Zeit zum freien Spielen und ganzheitlichen Erleben und Lernen in der Natur, zu ermöglichen. Weshalb die Türen und Gartentore von unserem Honigland am Nachmittag nicht schließen, sondern weit offen stehen. Um neben der Großtagespflege so vielen Kindern wie nur möglich Zugang zu unserem herrlichen, naturnahen Garten zu geben und unseren 

Naturraum

zu entdecken, zu erleben und als Teil unserer Honigbande miteinander und voneinander zu lernen, zu wachsen und glückliche Kindheitsmomente voller Honig zu erleben. Und diese gilt es für mich genauso zu schützen, wie unsere Natur. Denn Kindheit ist etwas einmaliges und einzigartiges und kehrt nie wieder zurück. Doch indem wir dem Kind intensive Zeit in der Natur ermöglichen, bewahrt es die Nähe und Achtung zu ihr, ein leben lang in seinem Innersten. Welches ihm ermöglicht, einen ganz natürlichen und achtsamen Umgang mit ihr zu pflegen und immer wieder in seine eigene Kindheits-Natur zurückzufinden, in ihr aufzuatmen und die schwerelosen Momente der Erinnerung aufleben zu lassen. Denn es liegt in der Natur des Menschen mit der Natur verbunden zu sein und sie als Teil des eigenen Selbst zu betrachten und nicht nur als ein abstraktes Konzept, zu welchem es wird, wenn man diese Chance verpasst. 

Neue Pläne

Es geht um kleine Schritte, ums wachsen lassen. Das gilt für die pädagogische Arbeit mit den Kindern, ebenso wie ganz konkret für den Garten. Dessen Bäume mit den Jahren immer größer wurden, genauso wie die vielen Kinder, die sich bei uns entfalten durften. Und dann kommt der Herbst und es heißt Abschied zu nehmen, damit wieder Raum für Neues entstehen kann. So ist das Leben ein fortlaufender Kreislauf aus Sein und Werden und unsere Arbeit als KinderGärtner ein sich immer wiederholender Neubeginn. Der uns lehrt, dass es nie vergeblich ist, immer wieder klein zu beginnen, Mühe und Arbeit zu investieren, mit dem sicheren Wissen, dass der Garten am Ende in den schönsten Farben blühen wird.

Es ist wieder Frühling geworden und es boten sich mir viele neue, interessante Möglichkeiten. Welche mich über den Verlust unsere schönen Villa hinwegtragen könnten, aus der wir leider wegen Eigenbedarf, noch in diesem Sommer ausziehen müssen. Denn jedes Ende, kann immer ein neuer Anfang sein. Und so wuchs in mir zuerst, der Gedanke weiterzuziehen und meinen Lern und Erfahrungsraum an einem anderen Ort zu erweitern und mich als natürlichen Prozess nun zu vergrößern. Aber tief in mir spürte ich, dass es noch nicht an der Zeit ist, meinen Garten zu verlassen. Denn auch ich, bin hier nicht nur gewachsen, sondern habe feste Wurzeln geschlagen. Weshalb ich jetzt, nach ein paar Monaten des Winterschlafs, auch wieder ganz klar sehe und weiss, wofür mein Herz schlägt. Denn die Möglichkeit, die Gärten weiter zu nutzen und das Gartenhaus zu renovieren und winterfest zu machen, ist in keinster Weise ein Rückschritt, sondern wieder eine großartige, aufregende Möglichkeit, meinem Bauchgefühl zu vertrauen und etwas Wundervolles entstehen zu lassen. 

Denn es ist Zeit für Honig und ich spüre nichts als Vorfreude und Tatendrang 🙂